Arbeitszeugnisse von Werbeagenturen müssen unter Umständen Beilagen enthalten: Druckbelege von Mitarbeitern. Anspruch auf übertrieben wohlwollende Qualifikationen haben aber auch Agenturmitarbeiter nicht.
Scheidende Mitarbeiter können gekränkt sein, wenn die Agentur ein sachliches und ehrliches Zeugnis ausstellt. Es gibt mittelprächtige Mitarbeiter/Innen, die nach Ablauf des Arbeitsverhältnisses trotz Mittelmass auf einem Superlativ bestehen: ("Höchst", "sehr zufrieden", "äusserst zuvorkommend" etc. Statt "zu unserer vollen Zufriedenheit" sollte die Agentur den (unmöglichen) Superlativ "zu unserer vollsten Zufriedenheit" ins Zeugnis aufnehmen.
Wahrheitspflicht
Arbeitszeugnisse müssen wahr, wohlwollend, klar und vollständig sein. Die Wahrheitspflicht verbietet das Ausstellen von Gefälligkeitszeugnissen und sie verpflichtet dazu, auch negative Punkte ins Zeugnis aufzunehmen (letztmals bestätigt durch Verwaltungsgericht des Kantons Zürich im Entscheid vom 12.07.2000). Dem Arbeitgeber obliegt allerdings die Beweislast für die Richtigkeit des Zeugnisses. Er muss auch den Verhältnismässigkeitsgrundsatz beachten: Kleinere Verfehlungen oder Ungereimtheiten dürfen nicht ins Arbeitszeugnis aufgenommen werden.
Pflicht zum Wohlwollen im Zweifelsfall
Mit dem Arbeitszeugnis soll das wirtschaftliche Fortkommen der Angestellten gefördert oder jedenfalls nicht unnötig erschwert werden (vergl. dazu Merkblatt Nr. 30 Juni 2001 des Centre Patronal). Wohlwollen darf aber nicht zur Unwahrheit verkommen. Die Wahrheitspflicht steht gleichrangig neben der Wohlwollenspflicht.
Pflicht zur Klarheit
Die Formulierungen im Arbeitszeugnis müssen unmissverständlich sein. Codierte Aussagen sind unzulässig. Indes: Was ist unmissverständlich? Hinter welchen Formulierungen empfinden welche Personen versteckte Aussagen? Zwar gibt es dazu Handbücher und Decodierungslisten. Es bleibt aber ein breiter Spielraum für richterliches Ermessen.
Pflicht zur Vollständigkeit
Das Arbeitsverhältnis hat sich über die Art und die Dauer des Arbeitsverhältnisses sowie über die Leistungen und das Verhalten auszusprechen (Art. 330a OR). Massgebend ist die tatsächlich ausgeübte, nicht die vor dem Arbeitsverhältnis schriftlich fixierte Funktion (vergl. Kasten zur Gerichtspraxis). In einem Vollzeugnis ist beides – Leistung und Verhalten – zu würdigen. Wenn der Mitarbeiter kein Vollzeugnis wünscht, muss die Agentur auf sein Verlangen ein Zeugnis ausstellen, das sich auf die Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses beschränkt (Arbeitsbestätigung gemäss Art. 330a Abs. 2 OR). Der Beendigungsgrund ist in der Regel nicht notwendiger Bestandteil eines Arbeitszeugnisses.
Dokumentationspflicht
In bestimmten Branchen muss die Leistung des Mitarbeiters über das Zeugnis hinaus dokumentiert werden. So sind Druckbelege im graphischen Gewerbe wichtige Bestandteile des Leistungsausweises eines Arbeitnehmers. Wer als Grafiker in einer Werbeagentur arbeitet, hat am Schluss des Arbeitsverhältnisses nicht nur Anspruch auf ein Leistungszeugnis, sondern auch Druckbelege seiner Arbeiten. Das hat ein gewerbliches Schiedsgericht in Basel bereits in den 80er Jahren entschieden.
Das Gewerbliche Schiedsgericht ging davon aus, dass eine Rechtsnorm, welche den beklagten Arbeitgeber verpflichten könnte, die fraglichen Druckbelege lückenlos herauszugeben, nicht gegeben sei. Dennoch anerkannte das Gericht, Druckbelege seien in der Branche wichtige Bestandteile für den Leistungsnachweis eines Arbeitnehmers. Das Gewerbliche Schiedsgericht bejahte deshalb grundsätzlich im Rahmen der Zeugnispflicht von Art. 330 a OR auch eine Dokumentationspflicht des Arbeitgebers (JAR 1986 C/I/7c).
Haftung des Arbeitgebers
Wenn das Zeugnis objektiv unwahr, unklar oder unvollständig ist, oder wenn es negative Aussagen enthält, welche zwar zutreffen, deren Vermerk aber unverhältnismässig ist, können Betroffene eine (gerichtliche) Berichtigung verlangen. Dabei ist aber auch zu beachten, dass Agenturen wie andere Arbeitgeber nicht zur Unwahrheit oder zu übertriebenem, sachlich nicht zurechtfertigendem Wohlwollen gezwungen werden können. Wer ein falsches Zeugnis ausstellt, haftet unter Umständen gegenüber einem späteren Arbeitgeber, welcher sich auf das falsche Zeugnis verlassen hat.
Decodierung von Zeugnissen gefordert
Im Juni 2001 hat der Nationalrat oppositionslos zwei Initiativen genehmigt, welche mehr Transparenz und Fairness in Arbeitszeugnissen anstreben. Beide verlangen eine Decodierung der Zeugnisse. Man darf gespannt sein auf das Unterfangen. Verschlüsselung hängt weitgehend auch vom subjektiven Empfinden ab. Es kollidieren in der Praxis die Wahrheitspflicht und die Wohlwollenspflicht. Deshalb verlangen aufmerksame Mitarbeiter/Innen bereits während des Arbeitsverhältnisses ein Zwischenzeugnis, sie warten nicht die Auflösung des Arbeitsverhältnisses ab, weil die Auflösung eines Arbeitsvertrages von der Agentur häufig als Kränkung oder Liebesentzug empfunden wird. Die Rache folgt dann auf dem Zeugnisweg: "Wir waren mit der Mitarbeiterin zufrieden", heisst es nüchtern im Schlusszeugnis, oder es fehlen die Bemerkungen über die Leistungen und das Verhalten der Mitarbeiterin völlig. Und damit kommt Feuer ins Dach. Der Autor hat für "persönlich" nebenstehend einige wichtige arbeitsgerichtliche Entscheide zur Zeugnispflicht zusammengestellt (genaue Quellenangaben der im Jahrbuch des Schweizerischen Arbeitsrechts publizierten Entscheide erfolgen auf Anfrage).
Literaturhinweise
Edi Class/Sabine Bischofberger, "Das Arbeitszeugnis und seine Geheimcodes", Verlag des Kaufmännischen Vereins, Zürich 1993.
Peter Häusermann, Offenheit durch uncodierte Arbeitszeugnisse, eine Anregung für Unternehmer, Führungskräfte und Personalchefs, NZZ 12.02.1992, S. 32
Paul Angst, Arbeitszeugnisse zwischen Wohltat und Plage, NZZ 06.03.1992, S. 69
Martin O. Huber, uncodierte Arbeitszeugnisse - wünschbar, aber nicht praktikabel, NZZ 26.02.1992, S. 32
* Bruno Glaus ist Rechtsanwalt in Uznach und Dozent für Medien- und Kommunikationsrecht am SPRI, am MAZ und an der SAL. Im Herbst 2000 erschien im persönlich-Verlag sein Lehrbuch "Das Recht der kommerziellen Kommunikation."
Wichtige Entscheide zur Zeugnispflicht
• Für das Arbeitszeugnis ist indessen nicht darauf abzustellen, mit welcher Bezeichnung der Arbeitnehmer angestellt worden war, sondern welche Funktion er während des überwiegenden Teiles seiner Arbeitsvertragsdauer tatsächlich ausgeübt hat.
• Der in OR Art. 330a verankerte Anspruch auf ein Leistungszeugnis kann nicht mit dem Argument zunichte gemacht werden, es könne einem Arbeitgeber, der subjektiv nicht zufrieden gewesen sei, nicht zugemutet werden, im Zeugnis Zufriedenheit auszudrükken. Eine Sekretärin, welche den Richter anrufen musste, um ein Zeugnis zu erhalten, konnte deshalb nicht die Aufnahme der Umschreibung «zu unserer vollen Zufriedenheit» im Zeugnis verlangen, wohl aber verurteilte das Gewerbliche Schiedsgericht den Arbeitgeber zur Aufnahme der Qualifikation "korrekt und weitgehend selbständig" ins Zeugnis.
• Ein Zeugnis muss objektiv richtig sein. Bei Werturteilen ist für die objektive Richtigkeit der Ermessensspielraum des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Objektive Unrichtigkeit liegt vor, wenn dem Werturteil falsche Tatsachen zugrunde gelegt oder wenn andere als die verkehrsüblichen Massstäbe herangezogen werden.
• Die Formulierung im Arbeitszeugnis, der Arbeitnehmer verlasse den Arbeitgeber frei von jeglicher Verpflichtung, setzt mangels entsprechenden Vorbehalts auch ein bestehendes Konkurrenzverbot ausser Kraft.
• Im Arbeitszeugnis ist die rechtliche, nicht die tatsächliche Dauer des Arbeitsverhältnisses anzugeben. Ein Schlusszeugnis, das nur kurze Zeit nach einem Zwischenzeugnis ausgestellt wurde, darf ohne triftige Gründe nicht wesentlich andere Aussagen enthalten.
• Formulierungen im Arbeitszeugnis, wie «sie erledigte alle ihr zugewiesenen Arbeiten zu meiner Zufriedenheit» sind missverständlich und deshalb nicht zulässig.
• Das Arbeitszeugnis hat sich über das Verhalten des Arbeitnehmers auszusprechen. Liegen keine erheblichen Vorwürfe gegen einen Angestellten vor, so ist sein Verhalten als «gut» zu qualifizieren. Die Frage der Ferienorganisation des Arbeitgebers hat mit der Gesamtbeurteilung des Arbeitnehmers nichts zu tun und gehört in der Regel nicht in ein korrektes Arbeitszeugnis .
• Der Beendigungsgrund ist nur auf Wunsch des Arbeitnehmers in das Zeugnis aufzunehmen, ausser er sei zur Würdigung des Gesamtbildes des Arbeitnehmers notwendig.
• Hat ein Arbeitnehmer während des Arbeitsverhältnisses nachweisbar gute Leistungen erbracht, so kann er die gerichtliche Änderung der im Arbeitszeugnis enthaltenen Wendung, der Arbeitnehmer «habe sich bemüht», verlangen.
• Die Verweigerung eines Arbeitszeugnisses kann strafbare Nötigung sein.
von Dr. iur. Bruno Glaus