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Die Haftung des Experten

Inhaltsübersicht
I. Einleitung 9
II. Zum Begriff „Experte“ 10
III. Vertragliche Haftungsansprüche 13
IV. Ausservertragliche Haftungsansprüche 15
V. Haftung für blosse Auskunft/Vertrauenshaftung 18
VI. Wegbedingung der Haftung 19

I. Einleitung
Mit der zunehmenden spekulativen Kommerzialisierung des Kunst-marktes nimmt die Bedeutung der Expertisen zu; sie werden zum „eigentlichen wertbildenden Faktor der Kunstwerke“ . Die Experten vom „Spezialisten“ bis zum Nachlassverwalter können aber ihre Machtstellung missbrauchen, sei es durch zweifelhafte Zuschreibung, sei es durch Fehleinschätzungen bei der Wertbestimmung. Je nach Inte-ressenlage wollen enttäuschte Käufer, die zuviel bezahlt, oder ent-täuschte Verkäufer, die zuwenig verdient haben, den Minderwert oder den entgangenen Gewinn beim angeblich unsorgfältigen Experten wettmachen. Zwar ist dieses Unterfangen aufwendig, bei krassen Fehleinschätzungen aber doch erfolgversprechend. Allerdings wird man dem international tätigen Anwalt Van Kirk Reeves zustimmen, wenn er festhält, eine Gewähr über den Prozessausgang könne der Anwalt nie übernehmen und bei jedem Dossier müsse mit Überra-schungen gerechnet werden . Trotz oder gerade wegen dieser Unge-wissheit einigen sich die Parteien nicht selten spätestens bei einer Ei-nigungsverhandlung vor Gericht.

II. Zum Begriff „Experte“
Das Berufsbild des Experten ist gesetzlich nicht geregelt. Geregelt ist einzig jenes der gerichtlich bestellten Sachverständigen , welcher be-sonderen zivil- oder strafprozessualen, allenfalls verwaltungsrechtli-chen Normen bezüglich Auftragsverhältnis, Verfahrens- und Honorie-rungsvorschriften, Berufsgeheimnis und Sanktionen unterliegt. Dar-über hinaus gibt es keine gesetzlichen Spezialbestimmungen zum Expertenwesen wie etwa die Verhaltensregeln für die Effektenhänd-ler, wonach Effektenhändler verpflichtet sind, die Geschäftserfahren-heit und die fachlichen Kenntnisse des Kunden zu berücksichtigen .
Im deutschen Recht wird von einem Teil der Lehre zwischen Experten und Sachverständigen unterschieden. Experte ist, wer sich durch wis-senschaftliche Leistung in einem eng umgrenzten Fachgebiet zum Spe-zialisten qualifiziert hat, sei es durch Erstellung eines Werkverzeich-nisses oder durch langjährige kuratorische Betreuung des Werkes, insbesondere durch Nachlassverwaltung. Ein Experte ist nicht unbe-dingt ein Sachverständiger, wie der Sachverständige nicht zwingend Experte in einem Spezialgebiet sein muss. Experten werden vorwie-gend für Echtheitsbestätigungen beigezogen. Sachverständige verfügen über ein breiter angelegtes Wissen; sie sind dementsprechend für die Wertermittlung von Kunstgegenständen zuständig – das Wissen um die unterschiedlichen Wertbegriffe zählt „zum unerlässlichen Vokabu-lar des Sachverständigen“ . Im Rahmen einer erbrechtlichen Ausein-andersetzung möchten die Erben beispielsweise wissen, welche Preise die im Nachlass zu teilenden Werke auf dem freien Markt erzielen würden. Es geht um die Verkehrswertermittlung, welche – so würde man vermuten – möglichst rationalen und überprüfbaren Gesetzen folgen sollte. Tatsache ist indes, dass auch Wertgutachten „zu sehr von subjektiven Einschätzungen abhängig sind“ (mehr dazu nachfol-gend).
Experte ist, wer von den Marktteilnehmern als Experte wahrgenom-men wird. Es handelt sich um einen selbstreferenziellen Begriff. Die Akteure sind unterschiedlichster Art: Schätzer, Nachlassverwalter, Kuratoren, Werkverzeichner, Sammlungsbetreuer, Archive, Kunstkri-tiker, Anwälte, Auktionshäuser, Kunsthändler usw. Sie alle können den Markt mit „Expertentätigkeit“ auf verschiedene Art beeinflussen und prägen. An dieser Stelle beschränken wir uns auf die bewertende und begutachtende Tätigkeit. Diese findet in drei Bereichen statt: Auf der Ebene der Zuschreibung und Zertifizierung, auf der Ebene der Schätzung des ökonomischen Wertes und auf der Diskursebene, in der Kunstkritik (Medienarbeit). Bei der Zuschreibung sind verschiede-ne Prüfungsebenen und –intensitäten zu unterscheiden: Provenienzbe-urteilung, blosse Zustandsbeschreibung (technische Analyse), Attri-butsbeurteilung (Stilanalyse), kunsthistorische Analyse (Kontextana-lyse) und naturwissenschaftliche Analyse.
Juristen und Kunstsachverständige äussern sich vehement gegen Prak-tiken, welche die Authentizitäts-Prüfung mit einer Bewertung des Kunstwerkes (Schätzung) koppeln. Den meisten Museen, die Exper-tendienstleistungen anbieten, ist es verboten, Preise für die begutach-teten Werke zu nennen. Und Institutionen die Schätzungen anbieten, verweisen ihrerseits auf Experten, wenn sie sich über Authentizität äussern sollen .
Der Wert eines Kunstwerkes ist immer nur im Moment einer geplanten Transaktion festzustellen und die Art der Transaktion beeinflusst den Wert. Deshalb fragen selbst Auktionshäuser nach, zu welchem Zweck das Werk bewertet werden soll.
Wo die Expertentätigkeit nicht zu dem vom Kunden erwarteten Re-sultat führt, stellt sich die Frage, ob die Leistung des Experten fehler-haft war. Der unsorgfältig handelnde Experte kann aufgrund ver-schiedener Rechtstitel haften: Aufgrund Vertrag, aus deliktischem Handeln und aus erwecktem Vertrauen. Aussergerichtlich können Haftungsansprüche allenfalls auch mit Berufung auf berufsethische Normen im Kunsthandel, im Galerie-, Restaurations- und Auktions-wesen geltend gemacht werden. Diese Grundsätze verleihen zwar nicht eigentliche Rechte, werden aber von den Gerichten häufig beige-zogen bei der Festlegung der zu erwartenden Standards bezüglich der Sorgfalt. Ein Berufskodex kann somit nicht nur bei der Würdigung der ethischen Verantwortlichkeit von Experten eine Rolle spielen, sondern auch bei der rechtlichen Würdigung.
Auch betriebsinterne Richtlinien können die Durchsetzung von Haf-tungsansprüchen erleichtern: Christies garantiert wie Sotheby’s in ihren Versteigerungsbedingungen, jedes Objekt innerhalb von fünf Jahren seit einer Versteigerung gegen Rückzahlung des Kaufpreises zurückzunehmen, wenn nachgewiesen wird, dass das versteigerte Werk eine Fälschung oder eine falsche Zuschreibung ist. So hat Chris-ties nach der Londoner-Schiele-Entscheidung auch in einem Jaw-lensky-Fall die Rücknahme gemäss diesen Leitlinien vereinbart .

III. Vertragliche Haftungsansprüche
Wo Experten nach vertraglichen Vereinbarungen tätig wurden, stellt sich die Frage, wie dieses Vertragsverhältnis zu qualifizieren ist: Werkvertrag oder Auftrag? Oder allenfalls gar ein gemischtvertragli-ches Verhältnis? Die rechtliche Qualifikation hat direkte Auswirkun-gen auf die Rechtspositionen der Parteien.
Beim Werkvertrag muss der Experte das zum vereinbarten Zweck taugliche Resultat abliefern, beim Auftrag muss der Auftragnehmer lediglich, aber immerhin, sorgfältig tätig werden. Beim Werkvertrag unterliegt der Besteller einer strengen Prüfungs- und Rügepflicht. Wenn er nicht innert tunlicher Frist prüft und den festgestellten Man-gel nicht sofort rügt, sind die Mängelrechte verwirkt. Der Vorzug für den Besteller liegt beim Werkvertrag in der Beweislast-Umkehr: Der Hersteller muss beweisen, dass sein Werk nicht mangelhaft ist. Unter-liegt die Expertentätigkeit indes dem Auftragsrecht, kommt die für den Auftraggeber vorteilhaftere zehnjährige Verjährungsfrist zur An-wendung. Hier muss aber der Auftraggeber die Verletzung der Sorg-faltspflicht nachweisen. Zu recht wird in der Literatur darauf hinge-wiesen, dass in der Praxis die Bedeutung der Unterscheidung zwi-schen Ablieferung eines Resultats und sorgfältigem Tätigwerden oft überschätzt werde .
Rechtsprechung und Lehre können wir folgt zusammengefasst wer-den: Eine Haftung aus Werkvertrag kann nur dort zur Anwendung kommen, wo ein Gutachter nach objektiven, nachvollziehbaren und überprüfbaren Kriterien arbeiten kann; das Resultat muss – wie beim Geometer oder Ingenieur – klar messbar sein. Dies könnte im Kunstbe-reich – wenn überhaupt – nur bei naturwissenschaftlichen Gutachten der Fall sein. Nach heutiger Lehre und Praxis wird insbesondere die Schätzung von Vermögenswerten und die Zuschreibung aufgrund von stilistischen und kunsthistorischen Kriterien dem Auftragsrecht unter-stellt. Das schweizerische Bundesgericht führt dazu aus: „Die Schät-zung des Wertes einer Sache ist naturgemäss eine Ermessensfrage. Das Resultat einer Verkehrswertschätzung kann deshalb nicht nach objektiven Kriterien als richtig oder falsch bewertet werden“ . Nach Werkvertrag muss der Schätzer für den Erfolg – d.h. die Richtigkeit – seines Werkes gradstehen, nach Auftragsrecht muss er nur nachwei-sen, dass er sorgfältig vorgegangen ist. Aufgrund der Studien des Centre du droit de l’art (Band 1 1992 und Band 19, 2007) gilt dieser Grundsatz über die Landesgrenzen hinaus: In keinem europäischen Land haftet der Gutachter für die Richtigkeit seiner Verkehrswert-Schätzung . Eine „Garantiehaftung“ gibt es nicht, der Schätzer haftet nur, wenn er die vertraglich oder üblicherweise vorausgesetzte Sorg-falt verletzt hat . Allerdings stellen Fachleute fest, dass das Haf-tungsrisiko der Experten eher zunimmt und – der Schutzbereich zu-gunsten enttäuschter Käufer oder Verkäufer immer weiter ausgedehnt wird .
Das Mass der anzuwendenden Sorgfalt hängt von den konkreten Umständen ab: Was durfte der Auftraggeber unter den konkreten Umständen von einem Fachmann/einer Fachfrau an Wissen und Sorgfalt erwarten: „Der Sorgfaltsmassstab richtet sich daher nach den Fähigkeiten, Fachkenntnissen und Eigenschaften des Beauftragten, die der Auftraggeber gekannt hat oder hätte kennen müssen“ . Das Ge-richt wird weiter würdigen, wie weit es sich bei der Begutachtung, insbesondere bei der Schätzung des ökonomischen Wertes, um soge-nannte risikogeneigte Tätigkeit handelt . Der Experte trägt nicht die Verantwortung für die spezifischen Risiken, die mit einer ganz be-stimmten Branche verbunden sind. Der risikogeneigten Tätigkeit ist auch haftungsrechtlich Rechnung zu tragen. Auf die Risiken hat der beauftragte Experte aber hinzuweisen .
Die Wert-Begutachtung wird oft nicht direkt einem unabhängigen Sachverständigen in Auftrag gegeben, sondern einem Kunsthändler oder Auktionshaus, welche ihrerseits interne oder externe Fachleute beiziehen. Das war im berühmten Gallé-Lampen-Entscheid der Fall. Der Wert einer Lampe von Emile Gallé war von einem beigezogenen Sachverständigen verkannt worden. Das Schweizer Auktionshaus, das den Londoner Gutachter im englischen Mutterhaus eingeschaltet hatte, wurde schadenersatzpflichtig. Allerdings hielt das Bundesge-richt den geschädigten Verkäufern entgegen, dass die Schätzung un-entgeltlich und auf Wunsch der Verkäufer mit hoher zeitlicher Dring-lichkeit erfolgen musste. In der Unentgeltlichkeit und dem hohen Risi-ko angesichts der zeitlichen Dringlichkeit könne eine stillschweigende Beschränkung der Haftung gesehen werden, erkannte das Bundesge-richt. Dementsprechend wurde der Schadenersatz reduziert. Das Auktionshaus hatte vergeblich geltend gemacht, die Haftung für die Richtigkeit der Schätzung werde üblicherweise wegbedungen. Im kon-kreten Fall konnte ein Haftungsausschluss nicht nachgewiesen wer-den.

IV. Ausservertragliche Haftungsansprüche
Haftungsansprüche können ausservertraglich, ohne vertragliche Bin-dungen oder besondere Vertrauensstellung (dazu nachfolgend), ge-genüber Dritten entstehen, einerseits durch deliktisches strafbares Verhalten, anderseits auch durch zivilrechtlich unlauteres (wenn auch nicht strafbares) Verhalten. Beim deliktischen Verhalten können Ur-kundendelikte, Betrug, allenfalls unlauterer Wettbewerb zur Diskussi-on stehen. Beim Zertifizieren und Zuschreiben stellt sich die Frage, ob die Expertise eine Urkunde im Sinne des Gesetzes ist. Es kann nur dann ein Urkundendelikt vorliegen, wenn der Urkunde eine erhöhte Glaubwürdigkeit zukommt. Dies trifft zu, wenn allgemein gültige, objektive Garantien die Wahrheit der Erklärung gegenüber Dritten gewährleisten . Unwahre Liegenschaftenschätzungen und unwahre Testate für Schüler wurden als Falschbeurkundung qualifiziert . Ei-nem Werkverzeichnis wird aber diese objektiv überprüfbare Aussage-kraft abgesprochen. Ein falscher Attest auf Verlangen hin kann aber den Tatbestand der Falschbeurkundung unter Umständen tangieren .
Vor allem unter dem Einfluss der amerikanischen Rechtsdurchset-zungspraxis ist in letzter Zeit vermehrt auch von der Haftung von Medienschaffenden und insbesondere der Kunstkritiker die Rede: Auch in der Schweiz unterstehen alle Akteure eines Marktsegmentes, auch die Medienschaffenden, den Normen des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb: Falsche, irreführende oder unnötig herab-setzende Äusserungen in Medien können unlauter im Sinne des UWG sein . Unlauter handelt, wer über sich oder andere unrichtige, irrefüh-rende oder unnötig verletzende Angaben macht oder in entsprechen-der Weise Dritte im Wettbewerb begünstigt (Art. 3 lit. a und b CH-UWG). Sowohl auf die redaktionelle als auch die kommerzielle Kom-munikation kommen die Normen des UWG zur Anwendung.
Das Wettbewerbsrecht kann die Expertentätigkeit noch in einem wei-teren Bereich beeinflussen: Wenn die Zertifizierungsstelle, das Comité, Centre oder Archiv, eine marktbeherrschende Stellung inne hat, stellt sich die Frage, ob sie eine Begutachtung pauschal ablehnen darf. Die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung ist sowohl nach EG-Vertrag , als auch nach Art. 7 KG-CH unzulässig . Frederi-ke J. Ringe ist wohl zuzustimmen, wenn sie darauf hinweist, dass unter diesem Rechtstitel nur ein Anspruch auf Prüfung und allenfalls auf einen bestimmten Prüfungsstandard, nicht aber ein bestimmtes Prüfungsergebnis gerichtlich durchgesetzt werden könnte. Berechtigte Zweifel müssten die Begutachter auf jedenfalls formulieren können. Und bezüglich Prüfungsstandard nennt die Autorin einige Kriterien:
• Deklaration bzw. Vermeidung von Interessenkonflikten,
• keine unüberprüfte Übernahme von früheren Aussagen und Begutachtungen,
• keine Ferndiagnosen aufgrund von Fotoaufnahmen, sondern ausschliesslich Begutachtung von Originalen, klare Deklara-tion der Prüfungsebene und Formulierung von Einschränkun-gen und Vorbehalten
• allenfalls auch Abmahnung oder gar Ablehnung des Auftra-ges bei fehlender Kompetenz auf der gewünschten Fachebe-ne.
Das Gegenstück zum Anspruch auf Prüfung einer allfälligen Zuschrei-bung ist das Recht auf Aberkennung, die Feststellung, dass ein Werk nicht dem Künstler zugeschrieben werden darf (droit de non-paternité ). Ein solcher Rechtsanspruch wird grundsätzlich bejaht mit Verweis auf verschiedene Gerichtsverfahren im Ausland, ungeachtet der strittigen Frage, ob sich dieses Recht auf das Urheberrecht oder auf das Persönlichkeitsrecht des Künstlers und seiner Erben stützen lässt . Die hier vertretene Auffassung ist die folgende: Wenn Künstler sich erkennbar von einem Werk distanzieren, indem sie es zerrissen, gestrichen oder übermalt haben, steht ihnen (oder den Rechtsnachfol-gern) ein Recht auf Aberkennung (Nicht-Anerken-nung), ein droit de non-paternité, zu. Wo übermalte Bilder in den ursprünglichen Zu-stand „rückrestauriert“ werden, haben die Erben zwar keinen An-spruch auf Zerstörung des Werkes, aber einen Rechtsanspruch darauf, den Eigentümern zu verbieten, dass sie das Werk als ein Werk des Künstlers ausgeben, der sich vom Werk mit dem Übermalen offen-sichtlich distanziert hat.
V. Haftung für blosse Auskunft/Vertrauenshaftung
Eine blosse Auskunft, die weder in Ausübung eines Gewerbes noch sonst gegen Entgelt erteilt wird, gilt nicht als Erfüllung einer vertrag-lich übernommenen Pflicht, sondern als ausservertragliches Handeln . Die besondere Vertrauensstellung des Auskunftgebenden kann indes eine vertragsähnliche Haftung aus erwecktem Vertrauen begründen (=Vertrauenshaftung) . Der Experte, der weiss, dass er für den Ver-käufer eine Expertise macht, welche dem Käufer als Anhaltspunkt für den Kaufentscheid dienen soll, weckt auch bei Käufern Vertrauen. Experten tun deshalb gut daran, das Weiterreichen von Expertisen vertraglich einzuschränken oder in der Expertise deutlich den Vorbe-halt anzubringen, dass Dritte aus dieser Expertise keinerlei Rechtsan-sprüche stellen können, wenn sie aufgrund der Expertise Entschei-dungen fällen sollten (siehe dazu auch ganz am Schluss die Ausfüh-rungen zur Freizeichnungsklausel der Wirtschaftsprüfer). Aus der besonderen Vertrauensstellung kann indes nicht abgeleitet werden, der Auskunftgebende habe im gleichen Mass Pflichten wie der ver-traglich beauftragte Experte. Der ausservertraglich beratende Experte muss zwar gestellte Fragen sorgfältig beantworten, hat aber nicht eine dem Auftragsrecht entsprechende umfassende Aufklärungspflicht.
Der deutsche Bundesgerichtshof stützt sich auf die Rechtsfigur des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter . Auf diese Schutz-wirkung kann sich indes nicht jeder beliebige Dritte berufen. Wer vom Verkäufer zur Expertise beauftragt wurde, haftet nicht zugleich auch gegenüber dem Käufer. Wieweit diese Vertrauenshaftung mit Schutz-wirkung zugunsten Dritter in Deutschland mit der Reform des Schuld-rechts vom 1.1.2002 in § 311 Abs. 3 explizit festgeschrieben worden ist oder neben dieser Bestimmung weiterhin als ungeschriebenes Rich-terrecht bestehen bleibt, muss an dieser Stelle mit Verweis auf eine Publikation von Nico Gellmann offen bleiben .
VI. Wegbedingung der Haftung
Grundsätzlich ist es zulässig, die Haftung für die Richtigkeit einer Schätzung oder eines Zuschreibungs- oder Echtheitszertifikats weg-zubedingen . Vertraglich darf auch vereinbart werden, dass ein Ge-suchsteller überhaupt auf rechtliche Schritte gegen den begutachten-den Experten verzichtet . Heikel ist das Verhältnis, wenn sich Zusi-cherung und Freizeichnung gegenüberstehen .
In BGE 123 III 165 hatte das Bundesgericht zur Frage der Zulässigkeit von Wegbedingung der Haftung des Auktionators Stellung genommen und dabei auf die bisherige, nur zum Teil veröffentlichte Praxis ver-wiesen: „In einem unveröffentlichten Urteil vom 27. Oktober 1987 hat das Bundesgericht mit Blick auf BGE 109 II 24f. zur Frage, wie sich die Beschreibungen in Katalogen von Kunstauktionen zu Freizeich-nungsklauseln verhalten, ausgeführt, angesichts der Vielfalt des ange-botenen Auktionsguts dürfe das bietende Publikum nicht ohne weite-res davon ausgehen, der Auktionator habe die einzelnen Gegenstände näher überprüfen können und übernehme mit ihrer Beschreibung zugleich die Garantie der Echtheit. Die Beschreibung im Auktionska-talog solle in erster Linie die zur Versteigerung gelangenden Gegens-tände darstellen und den Interessenten den Entscheid darüber erleich-tern, ob und bis zu welcher Höhe sie mitbieten wollen. Ferner komme dem Kaufpreis im Rahmen der Versteigerung nicht der gleiche Stel-lenwert wie bei einem gewöhnlichen Kauf zu. Er werde durch das Gebot des Bieters und weniger durch den Ausruf des Auktionators bestimmt. Selbst ein Kataloghinweis auf ein Expertengutachten ver-mochte im beurteilten Fall angesichts der Klarheit der Freizeichnungs-klausel nach Treu und Glauben keine Echtheitszusicherung zu begrün-den.
Im Auktionsgeschäft darf das Publikum gemäss Rechtsprechung an-gesichts der Vielfalt des angebotenen Auktionsgutes nicht ohne weite-res davon ausgehen, der Auktionator habe die einzelnen Gegenstände näher überprüfen können . Dem Schätzwert, aber auch dem Kauf-preis kommt im Rahmen der Versteigerung nicht der gleiche Stellen-wert zu wie bei einem gewöhnlichen Kauf.
Einschränkend ist allerdings folgendes festzuhalten: Der Versteigerer steht zu beiden – zum Einlieferer und zum Ersteigerer – in einer be-sonderen Vertrauensstellung. Deshalb ist seine Vertragsautonomie eine beschränkte. „Es würde den Ersteigerer entgegen Treu und Glau-ben unangemessen benachteiligen, wenn man ihm schlechthin das Ri-siko auch für diejenigen Fälschungen aufbürden würde, die der Aukti-onator bei der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt als solche hätte er-kennen können .“
Folge der besonderen Vertrauensstellung, welche der Auktionator sowohl dem Einlieferer als auch dem Ersteigerer gegenüber einnimmt, ist eine Aufklärungspflicht auch gegenüber dem Ersteigerer . Der deutsche Bundesgerichtshof schränkte im Jawlensky-Urteil VIII ZR 89/73 den Freiraum für Freizeichnung folgendermassen ein: Die Ent-haftungsvereinbarung greife dort nicht, wo der Verkäufer oder Aukti-onator sich über begründete Zweifel hinweggesetzt habe, ohne dem Käufer oder Ersteigerer davon Mitteilung zu machen. Obwohl das Schweizer Obligationenrecht den Haftungsausschluss des Versteigere nur bei absichtlichter Täuschung (Art.234 OR) einschränkt , folgt die Gerichtspraxis zumindest bei Einigungsverhandlungen dieser Leitlinie. Deshalb musste ein mittelgrosses Auktionshaus einem Ersteigers den Minderwert entschädigen, welches ein Werk mit zweifelhafter Zu-schreibung hatte. Das Auktionshaus hatte trotz eigenen Vorbehalten ein zweifelhaftes Gutachten vorbehaltlos als Zuschreibungszertifikat angeführt. Das Gericht wertete den After-Sale als gemischtvertragli-ches Verhältnis.
Häufig zeigen sich (vor allem die grossen) Auktionshäuser kulanter und nehmen die Kunstobjekte auch ohne nachweisbare Täuschungs-absicht zurück. In einem besonders krassen Fall, in welchem einem Auktionshaus die Zweifelhaftigkeit eines „Gutachtens“ bekannt war, musste die Käuferschaft allerdings einen aufwändigen Prozess in Gang setzen, um sich den Minderwert entschädigen zu lassen. Die Käufer hatten für den angeb-lichen alten Meister deutlich zu viel be-zahlt, wie seriösere Expertisen ergaben .
Die Auskunftserteilung kann wiederum in der Auskunft selbst relati-viert werden mit einer Freizeichnungsklausel, welche das Vertrauen Dritter gar nicht erst aufkommen lässt. Diese Praxis wird auch von den Wirtschaftsprüfern praktiziert, heisst es doch in deren allgemei-nen Geschäftsbedingungen: „Die Weitergabe der Äusserungen an eine Dritten bedarf der Zustimmung des Wirtschaftsprüfers“. Im gleichen Sinn können Kunstsachverständige bei Bewertungs-Gut-achten ihr Haftungsrisiko einschränken. Und diese Massnahme wird von mass-gebenden Juristen wärmstens empfohlen: „Angesichts der ausufern-den Gutachterhaftung ist eine Haftungsbegrenzung wichtiger denn je (-). Der Gesetzgeber lässt die Experten meist im Stich, so dass sie sich mit den Mitteln des Vertragsrechts selbst helfen müssen“ .

 

1 Tilo Gerlach, Die Haftung für fehlerhafte Kunstexpertisen, UFITA-Schriftenreihe 156, Baden-Baden 1998, S. 13, Klaus Ebeling/Marcel Schulze, Kunstrecht, München 2007, S. 242ff.; Bruno Glaus/Peter Studer, Kunstrecht, Zürich 2003, S. 94ff.

2 Nicht Gegenstand des Referats sind Sach- und Rechtsgewährleistungsansprüche aus Kauf, Werkherstellung, Restauration, Miete, Leasing, Gebrauchsleihe, Lizenzverträgen usw. Ebenfalls nicht behandelt werden Haftungsaspekte im Zusammenhang mit Kulturgütertransfer, Transportwesen, Escrow-Tätigkeit, sowie Finanztransaktionen unter dem Gesichtspunkt Geldwäscherei (Art. 305 bis StGB).

3 Kirk Reeves in: Marc-A. Renold u.a., L’expertise et l’authentification des oeuvres d’art, Zürich 2007 (zit. Band 19), S. 39ff.

4 Besondere Regelungen finden sich zum Sachverständigen Zeugen (Art.116 ZPO-SG), zum sachverständigen Richter (Art.117), zum Privatgutachter (Art. 118) und zum Schiedsgutachter (Art.119). Für Deutschland siehe Anna Blume Huttenlauch, Haftung des Kunstexperten für seine Expertise, in KUR 4/2004, S. 118,.

5 Suitability-Prüfung als zusätzliche Pflicht neben der Informations-, Sorgfalts- und Treuepflicht gemäss Art. 11 BG über die Börsen und den Effektenhandel, dazu AJP 7/2007, S. 909.

6 Huttenlauch (FN 4), S. 118 f.,

7 Hubertus Schlenke, Unterwegs als Kunstsachverständiger, in: ArtInvestor – Handbuch für Kunst und Investment, München 2002, S. 389

8 Heimo Schack, Kunst und Recht, Köln 2004, Rz 143, S. 62.

9 Walter Feilchenfeldt in einer schriftlichen Äusserung gegenüber dem Autor. Der Cezanne-Experte gibt keine schriftlichen Expertisen ab, sondern nur Begründungen mit dem Vermerk „meiner Meinung nach“. Kritisch steht Feilchenfeldt den Experten-Kommitees gegenüber, die Echtheitsfragen durch Abstimmung entscheiden.

10 Müller-Katzenburg in: KUR 2/1999 S. 32

11 Christine Chappuis in: Marc-André Renold u.a. L’expertise et l’authentification des oeuvres d’art, Zürich 2007, S. 49 ff. (zit.Band 19).

12 BGE 127 III 331, wo das das Bundesgericht auf die frühere Rechtsprechung über die Schätzung eines Kunstgegenstandes (BGE 112 II 347) sowie die Erstellung eines Kostenvoranschlages eines Architekten (BGE 122 III 61; 119 II 249) verweist.

13 Für die Schweiz: Centre du droit de l’art, L’expertise dans la vente d’objets d’art, Zürich 1992 (zit.Band 1), eine Zusammenfassung in deutsch in: Bruno Glaus, Haftung von Experten und Werkverzeichnern nach schweizerischem Recht, KUR 4/2004, S. 112ff; für Frankreich: Marie Cornu/Nathalie Mallet-Puojol, Droit, oeuvres d’art et musées, Paris 2001, S. 42ff.

14 Für Deutschland Schack (FN 8), S. 64

15 Schack (FN 8), S. 65.

16 BGE 127 III 359.

17 BGE 127 III 357.

18 Zu den Pflichten des Beauftragten zählen: Auskunftspflicht, Beratungspflicht, Erkundigungspflicht, Warnungs- und Abmahnungspflicht, Aufklärungspflicht, nicht aber Prüfung der Suitability (siehe FN 5).

19 BGE 112 II 347.

20 BSK StGB II – Boog Art. 251 N62, BGE 117 IV 35.

21 BSK a.a.O. N. 66.

22 Laurent Moreillon in: Band 19, S. 154f.

23 Für die Schweiz: Peter Studer in: Schweizerisches und europäisches Wettbewerbsrecht, Handbuch für die Anwaltspraxis IX, S. 417 ff. „Das UWG – eine Medienfalle“; für die USA: Judith Bresler, Expert Art Opinions and Liabilities, IFAR Journal 1999 (disparagement, defamation, negligence, negligent misrepresentation).

24 Art. 82 EG-Vertrag: Mit dem gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten ist die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem gemeinsamen Markt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen, soweit dies dazu führen kann, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.

25 Walter Feilchenfeldt schätzt, dass höchstens eine von fünfzig „Entdeckungen“ auf dem Markt echte Neuentdeckung ist, alles andere seien Fälschungen oder falsche Zuschreibungen.

26 Band 19, S. 145 und S. 55.

27 Band 19 S. 113.

28 Jacques de Werra in Band 19, S. 113, Fall „Nolde“, BGHZ 107 S. 384, http://web.archive.org/web/20040126150115/http://www.uni-leipzig.de/urheberrecht/ressrc/material/vorles/grur/njw90-1986.pdf.

29 Glaus in KUR 4/2004, S. 115ff.

30 BGE 130 III 345ff., 124 III 363 und 124 III 297, EVG B 42/03 vom 6. Oktober 2003 mit Verweis auf BGE 121 V 74 und 106 V 146; Zum Vertrauensschutz grundsätzlich: Peter Loser, Die Vertrauenshaftung im schweizerischen Schuldrecht, Bern 2006, S. 513ff. und S. 839f.

31 Schack (FN 8), S. 64.

32 „Ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 kann auch zu Personen entstehen, die nicht selbst am Vertrag Partei werden sollen. Ein solches Schuldverhältnis entsteht insbesondere, wenn der Dritte in besonderem Masse Vertrauen für sich in Anspruch nimmt und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst“.

33 Nico Gellmann, Die Haftung von Experten gegenüber Geschäftspartnern ihres Auftraggebers für die fehlerhafte Erstellung von Gutachten, Hamburg 2006, S. 171.

34 BGE 123 III 165 und 109 II 24f., BGH vom 15. Januar 1975 (VIII ZR 89/73) i.S. Jawlensky.

35 Vergl. dazu den Fall Lariviere c. The Pollock-Krasner Authentication Board, IFAR-Journal, Spring 2000, S. 23.

36 BGE 126 III 59, 109 II 24, bezüglich Auktion BGE 120 III 136

37 BGE 123 III 165, 127 II 161 E 7b; Müller-Katzenburg, Grundsätze der Haftung bei Kunstauktionen, in KUR 2/1999.

38 Anton Pestalozzi, der Steigerungskauf, Zürich 1997 Rz 1183, 1190 mit Verweis auf deutsche Entscheide, ausführlich dazu auch Hoyningen-Huene NJW 1973, S. 1473 ff.

39 BGE 95 III 24, wo es der Steigerungsleiter ungterlassen hatte, genauen Aufschluss zu geben über die Überbaubarkeit.

40 Zu den Schranken der Freizeichnung siehe Bruno Glaus in: KUR 4/2004 S. 112ff. insbesondere 115, ebenso Bruno Glaus/Peter Studer (FN 1), S. 132.

41 Nicht jedes Verschweigen von Tatsachen ist auch eine Täuschung. Verschweigen ist nur verpönt, soweit eine Aufklärungspflicht besteht (BGE 116 II 431 S. 434). Eine Aufklärungspflicht nach Treu und Glauben muss insbesonders dann bejaht werden, wenn eine Partei Tatsachen verschweigt und weiss, dass sich ihr Partner über diese Tatsachen irrt und den Vertrag bei Kenntnis der verschwiegenen Tatsache den Vertrag nicht abgeschlossen hätte (BGE 92 II 328 E. 3. S. 334).

42 Beispiel aus Glaus/Studer (FN 1), S. 128.

43 Schack (FN 8), S. 66.

 

von Dr. iur. Bruno Glaus


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